In Niedersachsen muss jeder Hund einen Wesenstest ablegen, der von der zuständigen Behörde als gefährlich eingestuft wurde. Hier wird ein Hund zurzeit in der Regel als gefährlich eingestuft nachdem der zuständigen Behörde ein Vorfall gemeldet wurde, bei dem der Hund einen Menschen, einen anderen Hund oder ein anderes Tier mehr als nur ganz geringfügig verletzt hat. Die Haltung eines als gefährlich eingestuften Hundes ist mit verschiedenen Auflagen verbunden, welche wir für Niedersachsen zusammengestellt haben unter gefährlicher Hund in Niedersachsen. Ein bestandener Wesenstest ist eine der Auflagen, die erfüllt sein müssen, um den Hund weiterhin dauerhaft halten zu dürfen.
Was ist ein Wesenstest?
Wesenstests werden durchgeführt mit dem Ziel, anhand des beobachteten Verhaltens zuverlässige Aussagen über zukünftiges Verhalten in ähnlichen Situationen zu treffen. Der Hund soll hier seine Fähigkeit zu so genanntem sozialverträglichen Verhalten nachweisen. Hierzu wird er mit einer Vielzahl von Reizen konfrontiert und sein Verhalten in den einzelnen Situationen wird detailliert beschrieben und ausgewertet.
Wesenstests wurden 2001 deutschlandweit eingeführt und anfangs nur für Hunde bestimmter Rassen angewendet. Viele deutsche Bundesländer führen weiterhin Rasselisten. In Niedersachsen existieren seit 2003 keine Rasselisten mehr. Hier erfolgen Gefährlichkeitseinstufungen zurzeit individuell und rasseunabhängig anhand gemeldeter Vorfälle.
Die einzelnen Bundesländer führen verschiedene Wesenstests durch, die sich in Ablauf und Einsatzgebiet teilweise stark unterscheiden. Das Ziel des Niedersächsischen Wesenstests ist es, Individuen zu erkennen, welche gestört aggressive Kommunikation zeigen oder als inadäquat geltendes aggressives Verhalten. Hierzu wird das Verhalten des Hundes gegenüber Hunden, Menschen und verschiedenen Umweltreizen in verschiedenen Situationen überprüft.
Wo kann ich einen Wesenstest ablegen?
Der Niedersächsische Wesenstest wird durchgeführt von speziell qualifizierten Tierärzten, welche auf einer vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geführten Liste gelistet sind. Diese Liste ist beim Ministerium sowie bei Veterinärämtern erhältlich. Auch in meiner Praxis können Sie den Niedersächsischen Wesenstest ablegen. Bei Interesse nehmen Sie gerne Kontakt auf.
Ist eine Vorbereitung auf den Wesenstest erforderlich?
Eine Vorbereitung auf den Wesenstest ist nicht grundsätzlich erforderlich, ist für viele Hunde und auch für ihre Halter jedoch sehr hilfreich. Da der Halter sich in den meisten Situationen des Wesenstests neutral verhalten muss, ist der Hund in den einzelnen Situationen auf sich alleine gestellt, was für viele Hunde ungewohnt ist. Auch weitere ungewohnte Rahmenbedingungen können die Situation für den Hund erschweren. Zudem durchläuft der Hund im Wesenstest eine Vielzahl aneinander gereihter Begegnungssituationen, die für viele Hunde bekannte Alltagssituationen übersteigen. Durch vorbereitendes Training kann der Hund schrittweise an diese Situation herangeführt werden. Training zur Vorbereitung auf den Wesenstest kann in jeder Hundeschule und bei jedem verhaltenstherapeutisch tätigen Tierarzt durchgeführt werden, die/ der mit Ablauf und Rahmenbedingungen des Niedersächsischen Wesenstests vertraut ist. Die Vorbereitung sollte individuell, d.h. auf den jeweiligen Hund zugeschnitten, erfolgen.
Wie läuft ein Wesenstest ab?
Rahmenbedingungen
Vor der Durchführung des Wesenstests ist vom Halter ein standardisierter Fragebogen auszufüllen und die amtlichen Schreiben, sowie ggf. eine Erläuterung der Vorfallssituation sind vorzulegen.
Der Hund wird im Wesenstest wenn möglich von seinem Halter geführt. Existieren mehrere Halter, z.B. in einer Familie, so können mehrere Personen am Wesenstest teilnehmen. In diesem Fall wechselt die Person, welche den Hund führt, während des Testablaufs. Wurde der Hund während des Vorfalls, welcher zur Gefährlichkeitseinstufung führte, von einer anderen Person geführt, so ist es erwünscht, dass auch diese Person am Wesenstest teilnimmt. Alle teilnehmenden Personen müssen sich vor Testbeginn mit einem gültigen Personalausweis ausweisen. Der Hund muss mittels eines Chips gekennzeichnet sein. Das Mindestalter des Hundes beträgt 15 Monate.
Der Hund wird im Wesenstest an einem breiten, nicht einschneidenden Leder- oder Stoffhalsband ohne Zugwirkung an einer zwei Meter langen Leine geführt. Während des Verhaltenstests bleibt die Leinenlänge konstant bei zwei Metern. Bei Bedarf können einzelne Testsituationen an einer längeren Leine nachgetestet werden.
Der Hund muss zur Testabnahme an einen gut sitzenden, sicher das Beißen verhindernden Maulkorb gewöhnt sein. Zwar wird so viel wie möglich ohne Maulkorb getestet, dennoch ist eine Maulkorbgewöhnung zwingend erforderlich, um bei Drohverhalten des Hundes mit Maulkorb aussagekräftig nachtesten zu können. Was bei der Wahl des Maulkorbes zu beachten ist und wie Sie Ihren Hund einfach an den Maulkorb gewöhnen, lesen Sie in den Artikeln Maulkorb für Hunde und Maulkorbtraining.
Der Wesenstest startet für den Hund mit einer Allgemeinuntersuchung. Um den Hund nicht bereits vor den eigentlichen Start des Tests unnötig zu stressen ist eine Gewöhnung an das tierärztliche Handling sehr empfehlenswert.
Während des gesamten Verhaltenstests werden Hund und Halter von einer personengeführten beweglichen Kamera gefilmt. Der Wesenstest wird durchgeführt an einem dem Hund unbekannten Ort. Es ist möglich, dass ergänzend zu den standardisierten Testsituationen am fremden Ort auch Situationen an weiteren Orten, z.B. im heimischen Territorium des Hundes, getestet werden.
Weitere Vorgaben können von den einzelnen Gutachtern aufgestellt werden. So gilt für Wesenstests in unserer Praxis, dass Gutachter und Testpersonen dem Hund nicht bekannt sein dürfen und dass der Hund einen gültigen Impfschutz nachweisen muss für die Krankheiten Tollwut, Staupe, Parvovirose, Hepatitis, Leptospirose.
Die Dauer des Wesenstests beträgt circa 60 Minuten.
Testablauf
Der Wesenstest startet mit einer kurzen Allgemeinuntersuchung zum Ausschluss körperlicher Erkrankungen und Schäden, welche das Verhalten des Hundes beeinflussen.
In einem Lerntest wird dem Hund eine kleine Aufgabe beigebracht zum Ausschluss der Vorbehandlung mit Beruhigungsmitteln, welche das Lernvermögen beeinflussen. Zusätzlich kann ein separater Frustrationstest durchgeführt werden.
Bei auffälligen Befunden in Allgemeinuntersuchung oder Lerntest kann kein Wesenstest durchgeführt werden.
Im Verhaltenstest wird der Hund mit einer Vielzahl von Situationen konfrontiert. Dieser Teil bildet das Kernstück des Wesenstests. Er wird mittels Videoaufnahmen dokumentiert und detailliert ausgewertet. Der Verhaltenstest ist unterteilt in:
Hund-Mensch-Kontakt
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Hund-Umwelt-Kontakt
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Hund-Hund-Kontakt
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Dem Verhaltenstest können je nach Vorfall individuelle Testsituationen hinzugefügt werden. Hat ein Hund z.B. in einem Café liegend in die plötzlich vom Nachbarstuhl herunterbaumelnde Hand gebissen, so wird eine entsprechende Situation nachgestellt.
In der Gehorsamsüberprüfung werden die Übungen Sitz, Platz, Komm und Aus getestet.
Ergebnis, Auswertung
Das Ergebnis über das Bestehen/ Nicht-Bestehen des Wesenstests wird dem Hundehalter direkt im Anschluss an den Test mitgeteilt. Die detaillierte Auswertung und Begutachtung des gezeigten Verhaltens erfolgt später schriftlich anhand der Videoaufnahmen. Das Verhalten des Hundes in jeder einzelnen Testsituation wird detailliert beschrieben, einer Skalierung zugeordnet und bewertet. Das Skalierungssystem umfasst die Skalierungen 1 bis 7.
Erläuterung der Skalierung entsprechend der Broschüre „Wesenstest für Hunde“, herausgegeben vom Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2003:
Das Gutachten kann unabhängig vom Bestehen/ Nicht-Bestehen des Wesenstests Empfehlungen zum weiteren Vorgehen enthalten, z.B. die Durchführung einer Verhaltenstherapie, das Bestehenbleiben des Maulkorbzwanges oder den Besuch einer Hundeschule.
Wann besteht der Hund den Wesenstest nicht?
Der Hund besteht den Wesenstest nicht, wenn er gestört aggressives Verhalten oder inadäquat aggressives Verhalten gezeigt hat.
Als gestört aggressives Verhalten gilt Verhalten der Skalierungen 6 und 7, d.h. eskalierendes aggressives Verhalten ohne vorherige Drohung. Erwähnenswert ist, dass auch Jagdverhalten mit Zustoßen unter die Skalierung 6 fällt, wenngleich Jagdverhalten kein aggressives Verhalten darstellt.
Als inadäquat aggressives Verhalten gilt eskalierendes Verhalten der Skalierung 5 in sogenannten Alltagssituationen, d.h. Zustoßen durch den Maulkorb in Testsituationen, welche nicht als Bedrohungssituation gelten (siehe Tabelle).
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Ergebnis des Wesenstests?
Mit Bestehen des Wesenstests ist eine der Auflagen zur weiteren Haltung eines als gefährlich eingestuften Hundes in Niedersachsen erfüllt. Sofern alle weiteren Auflagen ebenfalls erfüllt werden, kann nun auf Antrag eine unbefristete Haltungserlaubnis ausgestellt werden. Auflagen wie Maulkorb- und Leinenzwang gelten, ebenso wie die Gefährlichkeit des Hundes, grundsätzlich weiterhin. Zudem können weitere Auflagen, z.B. resultierend aus den Empfehlungen des Wesenstestgutachtens, erfolgen. Über eine Rücknahme von Auflagen, z.B. Befreiung vom Maulkorbzwang, wird von der zuständigen Behörde auf Antrag individuell entschieden.
Bei Nicht-Bestehen des Wesenstests ist eine Auflage zur weiteren Haltung eines als gefährlich eingestuften Hundes nicht erfüllt. Kann kein entsprechendes Gutachten vorgelegt werden bis zum Ende der Frist, wird grundsätzlich keine Haltungserlaubnis ausgestellt. Das weitere Vorgehen ist äußerst unterschiedlich und bei der jeweils zuständigen Behörde zu erfragen.
Übrigens:
Der Wesenstest stellt immer nur eine Momentaufnahme unter den gegebenen Bedingungen dar und kann nur zu beobachtetem Verhalten eine Aussage erlauben. Aus fachlicher Sicht sind der Ablauf sowie der Einsatz des Wesenstests äußerst kritisch zu betrachten. Einen selbst verfassten Fachartikel zu der Durchführung und den Ergebnissen des Niedersächsischen Wesenstests finden Sie hier: Der Niedersächische Wesenstest: Ergebnisse des Testens der Gefährlichkeit von Hunden (externer Link).
Links
Weiterlesen: Maulkorb für Hunde und Maulkorbtraining
Weiterlesen: gefährlicher Hund in Niedersachsen
Wesenstest-Broschüre des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (externer Link)
Der Niedersächische Wesenstest: Ergebnisse des Testens der Gefährlichkeit von Hunden (externer Link)